Krieg in Osteuropa Die Neonazis, die um die Ukraine kämpfen

Von Ann-Dorit Boy und Francesco Collini

04.03.2022, 22.39 Uhr

Die Hafenstadt Mariupol wird vor allem vom rechtsextremen Asow-Regiment der ukrainischen Nationalgarde verteidigt. Auch aus dem Ausland ziehen Radikale in den Ukrainekrieg - sie kämpfen auf beiden Seiten.

Mitglieder des Asow-Regiments in Mariupol, 2019
Foto: Evgeniya Maksymova / AFP

Gäbe es das Asow-Regiment nicht schon, dann hätten es die russischen Staatsmedien erfinden müssen. Denn in diesem Freiwilligenverband, der zur ukrainischen Nationalgarde gehört, kämpfen Männer mit ultranationalistischer und nationalsozialistischer Gesinnung. Als Erkennungszeichen tragen die Kämpfer ein Emblem mit einer Wolfsangel, einem Symbol, das auch Hitlers SS benutzte.Ukraine verteidigt, ist ein Geschenk für Moskaus Propaganda. Da sind sie, die Nazis, von denen Wladimir Putin spricht, mit denen er die sogenannte Denazifizierung des Nachbarlandes rechtfertigt.

Die russischen Nachrichten waren am Donnerstag voll von Meldungen über angebliche Angriffe des Asow-Regiments auf Wohnhäuser und Menschen in Mariupol. Aufnahmen von Mehrfamilienhäusern mit durchlöcherten Fassaden sollten den unbarmherzigen Kampf des Regiments gegen die eigene Bevölkerung belegen. Eduard Bassurin von der Volksmiliz der sogenannten Volksrepublik Donezk klagte beim Sender Rossija-24, die Rechtsextremen hielten Menschen in Kellern der Stadt fest und ließen sie nicht durch den humanitären Korridor entkommen. Laut Angaben aus Moskau haben russische Truppen die Industriestadt fast vollständig umzingelt.

Es ist bereits das zweite Mal, dass sich Russland und die Asow-Kämpfer in Mariupol gegenüberstehen. Beinahe wäre die Stadt am Ufer des Asowschen Meeres im Frühsommer 2014 schon in russische Hände gefallen. Einige bange Wochen lang verbarrikadierten sich damals prorussische Kräfte im Rathaus. Dann stürmten die Asow-Kämpfer mit anderen ukrainischen Einheiten Mariupol und eroberten die Stadt mit ihren rußigen Schornsteinen und Hochöfen der Metallindustrie zurück. Die Kämpfer befreiten in der Folge noch mehrere Siedlungen im Donbass. Das Asow-Regiment soll im ersten Kriegsjahr von wenigen Hundert auf knapp tausend Männer angewachsen sein. Inzwischen wird die Zahl der Kämpfer auf mehr als 2000 geschätzt.

Pakt mit dem Teufel

Bewaffnete Rechtsextreme waren schon bei den Protesten gegen den korrupten russlandtreuen Präsidenten Wiktor Janukowytsch im Winter 2013 in Kiew in Erscheinung getreten. Die paramilitärische Gruppierung "Rechter Sektor" protestierte auf dem Maidan neben Studenten mit EU-Fahnen. Nach dem Sturz Janukowytschs nutzte Russland diesen Umstand, um zu behaupten, die Ukraine werde nun von einer faschistischen Junta regiert.

Einige ukrainische Rechtsextremisten forderten nach dem Maidan tatsächlich politische Teilhabe, aber ihr Gewicht war nie besonders groß. Die Partei "Swoboda" (Freiheit), die als politischer Arm mehrerer kleiner ultranationalistischer Bewegungen galt, erreichte ihren größten Erfolg bei den Wahlen von 2012 mit zehn Prozent der Stimmen. Seither verfehlte sie den Wiedereinzug ins Parlament. Nur der Anführer von "Rechter Sektor", Dmytro Jarosch, und der erste Kommandant des Asow-Regiments Andrij Bilezkyj gewannen 2014 jeweils Direktmandate.

Dass die nach der demokratischen Revolution gewählte Regierung von Präsident Petro Poroschenko das Land auch von einer Gruppe Rechtsextremer verteidigen ließ, war zunächst der Not geschuldet. Die ukrainische Armee war in erbärmlichem Zustand, als Russlands Truppen erst die Halbinsel Krim annektierten und dann in den Osten des Landes einfielen. Jeder, der eine Waffe in die Hand nehmen wollte, war willkommen. Die Asow-Männer bekamen Orden und Medaillen. Der umstrittene frühere Innenminister Arsen Awakow unterstellte das Regiment der Nationalgarde, die für die Bekämpfung von Terror und Sabotage zuständig ist. Die Truppe wird seither aus dem Staatsbudget finanziert. Bis dahin soll ausgerechnet der jüdische Oligarch Ihor Kolomojskyj die Kämpfer bezahlt haben.

Mitglieder des Asow-Regiments in Kiew, 2016
Foto: Gleb Garanich / REUTERS

Innenminister Awakow machte den damaligen Asow-Kommandanten und Aktivisten Bilezkyj zu seinem Schützling. Der 42 Jahre alte Mann aus dem russischsprachigen Charkiw bestreitet, dass er dem Nationalsozialismus anhänge und Antisemit sei. Doch mit seinem Namen ist in der Ukraine das folgende Zitat verbunden: "Die historische Mission unserer Nation in diesem kritischen Moment besteht darin, die Weißen Völker der ganzen Welt im letzten Kreuzzug für ihre Existenz zu führen." Im Jahr 2019, als der jüdische Präsident Wolodymyr Selenkyj den Wahlsieg errang, scheiterte Bilezkyj als Kandidat eines rechten Bündnisses mit "Rechter Sektor" und "Swoboda" an der Fünfprozenthürde.

Die Uno-Menschenrechtsorganisation OHCHR hat mehrere Verbrechen durch Mitglieder des rechtsextremen Asow-Regiments im Donbass dokumentiert. Zehn Asow-Männer sollen 2014 einen geistig behinderten Mann gequält und vergewaltigt haben. Im Jahr 2015 sollen drei Männer des Regiments einen Mann aus Mariupol entführt und unter anderem mit Stromschlägen gefoltert haben, weil dieser Unterstützung für die Separatisten geäußert hatte. Für unzählige Menschenrechtsverletzungen, über die das OHCHR fortlaufend berichtet, ist das Separatistenregime verantwortlich.

In der Öffentlichkeit präsentiert sich das Asow-Regiment schon lange wie eine normale Sondereinheit der Nationalgarde, die allerdings auch einen politischen Flügel hat. Vor wenigen Wochen noch luden die Kämpfer Männer, Frauen und Kinder in Mariupol und Kiew zu militärischen Trainingseinheiten ein. Zur Vorbereitung auf die drohende russische Invasion sollten die Leute lernen, wie man eine Waffe hält und eine blutende Gliedmaße abbindet. Auf seinem Telegram-Kanal für Mariupol informiert das Regiment 46.400 Follower über die neuesten Entwicklungen und organisiert die Verteidigung der Stadt.

Unterstützung aus dem Ausland

Das Asow-Regiment rekrutiert bei dem Instant-Nachrichtendienst Telegram zurzeit auch ausländische Kämpfer. Der "Zeit"-Journalist Christian Fuchs erfuhr bei einer Undercover-Anfrage von einem der Rekruteure: "Wir nehmen gerade alle Ausländer." Es soll zahlreiche Anfragen geben. Schon in der heißen Phase des Krieges im Donbass im Jahr 2014 und 2015 sollen rund zehn Prozent der knapp tausend Kämpfer zugereiste Rechtsextreme gewesen sein. Sie stammten aus zahlreichen europäischen Ländern und auch aus den USA. Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber der "Welt" bestätigte, sind in den vergangenen Tagen bereits deutsche Neonazis in die Ukraine ausgereist. Unklar ist, ob sie dem Aufruf von Asow folgen. Der überwiegende Teil der deutschen Neonaziszene unterstützt nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden Russland. Die italienische Ausgabe der "Huffington Post" hatte vor wenigen Tagen berichtet, es finde gerade ein "Derby" statt zwischen Anhängern neofaschistischer italienischen Parteien. Die einen unterstützten Russland, die anderen die Ukraine.

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Extremistisch gesinnte Sölder der Wagner-Gruppe sollen sich Berichten zufolge bereits in der Ukraine befinden und auf russischer Seite kämpfen. Auch die prorussischen Separatisten haben schon seit 2014 ihre eigenen "foreign fighters". Italiens bekanntester Rechtsextremer im Donbass, Andrea Palmeri, ist der ehemalige Hooligan-Chef des toskanischen Fußballvereins Lucchese. Er soll seit 2014 in Luhansk leben. In einem Facebook-Post von dieser Woche schreibt er, die westlichen Nachrichten "werden mit russenfeindlicher Propaganda und Fake News überflutet". Ein Profilbild aus dem Jahr 2016 zeigt Palmeris Tattoos auf dem rechten Oberarm: Über dem russischen Adlerwappen hatte er sich ein Eisernes Kreuz einstechen lassen.


Quelle: spiegel.de


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 10.04.2024 - 10:46